top of page

Von Fahrrädern, Steinen & Ästen!

  • Autorenbild: twildelau
    twildelau
  • 17. Juli 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Juli 2024

Wir erleben im Folgenden einen angenehm warmen Montag Abend im Juli 2024, der seinen Anfang am Hamburger Hauptbahnhof nimmt. Nach einer Überstunde bei der Arbeit, ist es mein Ziel, den abendlichen Zug um 20:06 Uhr Richtung Lübeck Hauptbahnhof zu nehmen.




20:03 Uhr

Von der Arbeit kommend, erreiche ich mit der S1 pünktlich den Hauptbahnhof, um in den Zug RE8 Richtung Lübeck einsteigen zu können. Der Bahnsteig ist bereits sichtlich überfüllt mit Personen, die offensichtlich in diesen Zug einsteigen wollen, als eine typisch unpersönliche vorproduzierte Durchsage mit männlicher Stimme ertönt: „RE8 von Lübeck Hauptbahnhof, Ankunft 19:53 Uhr mit Weiterfahrt nach Lübeck Hauptbahnhof - heute etwa 15 Minuten später. Grund dafür ist die Vorausfahrt eines verspäteten Zuges.“


20:10 Uhr

An der Bahnsteig-Anzeige erscheint der Hinweis, dass dem demnächst einfahrenden Zug „mehrere Wagen fehlen“. Warum das so ist, wird nicht erwähnt. Beim Anblick des mit Fahrgästen überfüllten Bahnsteigs, hoffe ich, dass es einen triftigen Grund für das Fehlen dieser Wagen gibt.


20:16 Uhr

Der Zug fährt langsam ein. Kurz nachdem er zum Stehen kommt, steigen viele viele Menschen aus. Danach steigen viele viele Menschen ein. Einige Fahrgäste verstehen das Prinzip dennoch nicht und steigen in den Zug ein, während andere noch aussteigen. Es kommt dabei - wie immer - zu Staus, Missverständnissen, Remplern, Streits etc.


Ich setze mich im Doppelstockwagen in der 2. Klasse oben in einen „2er“. Kurz darauf bekomme ich eine Sitznachbarin, die versucht, es sich mit ihrem großen Rucksack auf ihrem Schoß bequem zu machen. Gut gefüllt setzt sich der Zug wenige Minuten später in Richtung Lübeck in Bewegung.


20:30 Uhr

„Sehr geehrte Fahrgäste, der Zug ist heute leider mit weniger Wagen ausgestattet. Wir bitten dies zu entschuldigen.“ Danke für die Information. Aber auch hier gibt es leider keine Auskunft, warum das so ist.


20:50 Uhr

Seit etwa zehn Minuten fahren wir in verringerter Geschwindigkeit. Eine Durchsage, warum das so ist, gibt es nicht.


Zur gleichen Zeit versucht ein älterer Mann mit Baseball-Cap, der offensichtlich zu tief ins Glas geschaut hat, einer Gruppe syrischer Männer auf englischer Sprache die Zugdurchsagen und was hier gerade sonst noch so alles passiert, zu erklären. Sein Englisch besteht aus viel Genuschel und einigen deutschen Wörtern, die sich immer wieder wie selbstverständlich in seine Erklärungen schummeln. Mit großer Überzeugung reißt er seine Augen auf und freut sich ob der verantwortungsvollen Aufgabe.


21:00 Uhr

Nach weiteren 10 Minuten erreichen wir die Haltestelle Bargteheide und kommen langsam zum Stehen. Es vergehen weitere 2 Minuten, bis sich die Lautsprecheranlage einschaltet: „Sehr geehrte Fahrgäste! Aufgrund einer Signalstörung ist die vor uns liegende Strecke nur eingleisig befahrbar. Deshalb müssen wir hier leider warten, bis die Regionalbahn aus Bad Oldesloe kommend in Richtung Hamburg an uns vorbeifahren kann. Wir bitten noch um etwas Geduld …“


21:08 Uhr

Wir stehen immer noch an derselben Stelle. „Sehr geehrte Fahrgäste, …„ ein langer Seufzer unterbricht den Satz des DB-Angestellten. „… Nun ist es leider so, dass sich ein paar Jugendliche auf den Gleisen befinden und mit Steinen und Ästen schmeißen. Daher gibt es nun einen Polizeieinsatz. Und deshalb wird die Strecke voraussichtlich gesperrt. Leider können wir hier in Bargteheide die Türen nicht freigeben, da es von der Leitstelle nicht genehmigt wurde.“


21:12 Uhr

„Sehr geehrte Fahrgäste: Hier nochmal der Hinweis: die Strecke zwischen Bargteheide und Bad Oldesloe ist nun erstmal voll gesperrt! Grund dafür sind Jugendliche, die auf den Gleisen Züge mit Steinen und Ästen bewerfen. Auch Fahrräder und Äste werden auf die Gleise gelegt. Die Leitstelle hat nun entschieden diesen Zug Richtung Ahrensburg wieder zurückfahren zu lassen, um dort dann die Türen freizugeben.“


21:22 Uhr

Der Zug setzt sich in Bewegung: zurück in richtig Ahrensburg.


21:30 Uhr

Wir erreichen wieder den Bahnhof Ahrensburg. Dort angekommen, steht bereits ein anderer Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis. Eine Durchsage für die weitere Vorgehensweise gibt es aber bisher nicht. Trotzdem fühlen sich viele Fahrgäste dazu animiert, den Zug zu verlassen, um in den anderen einzusteigen, oder aber ihrer Nikotinsucht zu frönen. Ich bleibe erstmal sitzen, beschließe ich. Meine Sitznachbarin und viele andere um uns herum denken dasselbe, stelle ich fest, als ich meinen Blick umherschweifen lasse.


Plötzlich starre ich in zwei aufgerissene Augen. Neben unserem 2er steht im Gang der angetrunkene Mann von vorhin und fragt, ob es denn schon eine Durchsage gab? Dabei tut er sich keinen Zwang an und stützt sich - als er merkt, dass ich seinen Blick erwidere - locker auf dem Rucksack meiner Sitznachbarin ab, den sie nach wie vor sperrig auf ihrem Schoß hält. Von ihm unbemerkt zuckt sie zwangsläufig etwas zurück, denn durch die weiche Oberfläche des Rucksacks gleitet der Körper des Mannes unfreiwillig nach unten, während seine großen besoffenen Augen meinen Blick uneingeschränkt fixieren.


Ich antworte ihm zunächst indem ich ihm sage, dass ich auch noch keine Durchsage gehört habe und mache ihn dann aber höflich darauf aufmerksam, sich doch wieder aufzurichten, denn meine Sitznachbarin macht keine Anstalten sich zu äußern, obwohl es ihr sichtlich unangenehm ist.


21:40 Uhr

„Sehr geehrte Fahrgäste, dieser Zug wird ausgesetzt. Wir bitten Sie in den Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis einzusteigen. Es ist allerdings nicht klar, wann der Zug Richtung Lübeck weiterfährt, da die Strecke noch immer voll gesperrt ist.“


Ein Pulk von Menschen macht sich auf, einen Zug zu verlassen, um in einen anderen einzusteigen. Nach Betreten des Zuges, ertönt nun hier eine Durchsage: „Sehr geehrte Fahrgäste, die Leitstelle hat nun die Information gegeben, dass die Strecke wohl noch bis voraussichtlich 22:30 Uhr gesperrt sein soll. Das bedeutet, dass wir hier noch etwa eine Stunde stehen werden. Es tut uns leid. Wir hoffen, dass der Polizeieinsatz bald durch ist! Bitte haben Sie Verständnis!“


Mittlerweile unbeeindruckt von Informationen, die die Freizeit meines Feierabends auf ein Neues dezimieren, suche ich mir wieder einen Sitzplatz.


21:58 Uhr

Im Zug hat sich seit einigen Minuten ein merkwürdiges Eigenleben entwickelt. Einige Fahrgäste sitzen und warten, andere laufen einfach umher, um sich die Beine zu vertreten, nutzen den Stillstand um auf Toilette zu gehen oder stehen draußen und rauchen. Es herrscht auf jeden Fall reges Treiben, als plötzlich die Lautsprecher knacken und ein leicht abgeschnittenes aber sehr sehr lautes „… nsteigen!!!“ zu vernehmen ist. So schnell, wie die Durchsage da war, ist sie auch wieder verstummt. Im ersten Augenblick klang es wie ein genervter Ausruf des DB-Angestellten. Als ich jedoch in die vielen aufgeschreckten Gesichter der Fahrgäste schaue, sehe ich einige von ihnen lachen. Offenbar hat sich der DB-Mann damit einen Scherz erlaubt, um die Freude zum Ausdruck zu bringen, dass es nun doch früher losgeht als gedacht. Hastig nehmen alle ihren Sitzplatz ein. Und tatsächlich fährt der Zug wenige Augenblicke später los Richtung Lübeck Hauptbahnhof. Es ist mittlerweile 21:55 Uhr.


22:00 Uhr

An der Stimme der darauffolgenden Durchsage kann man eine deutliche Erleichterung des Zugpersonals feststellen. Ab diesem Zeitpunkt läuft für diese Fahrt dann auch alles wie geplant. In Lübeck angekommen muss ich glücklicherweise nur etwa 20 Minuten auf meinen Anschluss-Zug warten. Tsss, … Pille Palle!



Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
bottom of page